Turbulenz ist das Ende der Beständigkeit, das Ende der Wiederholbarkeit. In turbulenten Zeiten ist das Unerwartete zu managen. Große Organisationssysteme sind jedoch überfordert, auf Turbulenzen klug und weitsichtig zu reagieren. Wenn es hoch hergeht in Unternehmen, wenn es im Alltag unübersichtlich wird – beispielsweise nach Fusionen, in Krisen, bei Re-Organisationen oder Sparprogrammen – bauen Unternehmen üblicherweise mehr strukturelle Komplexität auf. Sie schrauben an ihren Organigrammen, schaffen mehr Berichtslinien, erfinden „dottet lines“ – direkte Nebenberichtslinien – intensivieren Networking, gründen in hoher Taktung neue Projekte und Task Forces. Sie wollen die Effektivität ihrer Organisationen steigern und erreichen das Gegenteil. Ihre Leistungskurven fallen ab, ihre Systeme blockieren und Führung wird beschwerlich.
Führungskräfte müssen sich in turbulenten Zeiten damit auseinandersetzen, ihre Organisationen nicht wie bisher steuern zu können. Sie müssen es aushalten, vieles einfach nicht zu wissen. Sie sollten sich lösen aus der Verklammerung mit immer neuen Führungstheorien und sich vielmehr auf altes Wissen besinnen!
Da wäre zunächst der Gebrauch des gesunden Menschenverstands. Die Praxis zeigt, dass Erfahrung, Intuition und das berühmte Bauchgefühl in turbulenten Zeiten die besseren Berater sind. Es gilt Anleihe in der Kunst als innerem Betriebssystem zu nehmen. Künstler sind Experten des Nichtwissens. Wenn der Maler vor der weißen Leinwand steht oder ein Autor ein neues Theaterstück erarbeitet, sind sie stets erfahrene Anfänger oder informierte Nichtwissende. Sie fangen ohne Gewissheit über das Ergebnis bei jedem Kunstwerk immer wieder neu an.
Führungskräfte sollten sich mit dem Gefühl des erfahrenen Anfängers auseinandersetzen. Ihr Nichtwissen kann eine aussichtsreiche Auseinandersetzung mit dem eigenen Narzismus, mit ihrem Verhältnis zu sozialen Gruppen und ihren inneren Werten befördern. Es geht für sie darum, auf eine intimere Art und Weise mit ihren Teams in Verbindung zu kommen und eine intensivere Wahrnehmung zu spüren. Es geht für sie darum, Führung als zwischenmenschliches Geschehen neu und anders denken. Ein Vorbild für diese Form der systemischen Führung ist Papst Franziskus. Der aktuelle Pontifex ist oberster Brückenbauer. Er vertritt eine klare Wertehaltung, führt mit gesundem Menschenverstand, verzichtet auf Größenwahn, pflegt eine künstlerische Herangehensweise, betreibt symbolisches Management.
Eine der wichtigsten Vorbedingungen für die Neuorientierung von Führungskräften liegt im Loslassen. Manager sollten lernen, sich von Gewohnheiten und Vorurteilen zu verabschieden und Dinge nicht im Griff zu haben. Sie sollten lernen, neugierig zu sein und an Neues, Fremdes, Unbekanntes andocken. Sie sollten in sich nachspüren, was sie wirklich interessiert und mit Menschen in einen wahrhaftigen Austausch kommen. Sie sollen neue Kommunikationsgefäße erfinden, ausprobieren und einüben. Jenseits von Standard-Meetings, Standard-Mitarbeitergesprächen und Standard-Floskeln sollten sie Kommunikation neu lernen. Zum Beispiel beim Waldspaziergang oder dem morgendlichen Fünf-Minuten-Meeting. Sie sollten herausfinden, wie sie in Großgruppen agieren und reagieren oder mit Konfrontation umgehen.
Vertiefter Dialog und Selbstreflexion sind in turbulenten Zeiten hochgradig produktive Führungsinstrumente. Wenn es unübersichtlich wird, wenn der Nebel zunimmt, geht man langsamer und orientiert sich immer wieder neu. Wenn das Gelände schwankt, dann rückversichert man sich permanent, geht in Resonanz und Rückkopplung. Nicht nur in turbulenten Zeiten bringen kontinuierliche Feedbackprozesse die Kommunikation zum fließen. Führungskräfte sind gut beraten, die „Stimmen von unten“ zu schützen, ihre Mitarbeiter zu Rückmeldungen zu ermuntern und zuzuhören.
Wie geht das nun, Führen und Steuern in turbulenten Zeiten? Das hat viel mit gesundem Menschenverstand zu tun, mit Kunst als innerem Betriebssystem, mit Werten und Loslassen, mit Dialog, Kommunikation und Feedback. Nicht zuletzt geht es für Führungskräfte in turbulenten Zeiten darum, die eigenen Kraftquellen zu erkennen und aktive Selbstfürsorge zu betreiben.
Inspirationsquelle dieses Artikels ist der Vortrag von Dr. Wolfgang Looss „In Turbulenzen steuern – die Renaissance von Führung“ vom März 2014. Wolfgang Loos ist seit über 25 Jahren Coach und Organisationsberater. Er zählt zu den Begründern der deutschen Coaching-Szene.
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