Ob Menschen oder Unternehmen – soziale Wesen und Systeme sind zeitlebens auf der Suche nach ihrem Sinn. Die Sinnsuche ist ein zentrales Daseinsthema. Sie liegt derzeit auch für Firmen im Trend. Kein Wunder, denn die Zeiten sind unsicher. Perspektiven lassen sich nur schwer vorhersehen. Veränderungen auf allen unternehmerischen Ebenen sind an der Tagesordnung. Durch die Krisen und Häutungen der vergangenen Jahre ist vielen Unternehmen der Sinn und Zweck ihres Daseins abhanden gekommen. Vermeintliche Wahrheiten von gestern gelten nicht mehr. Zum Beispiel das Mantra vom Shareholder Value – es klingt vor dem Hintergrund der aktuellen Krise heute hohl und sinnentleert.
Die Frage nach dem Sinn ist so alt wie die Menschheit selbst. Sie ist eine der Grundfragen der Philosophie. Bei der Auseinandersetzung mit der Sinnfrage führt kein Weg vorbei an Viktor Frankl. Der österreichische Psychiater und Psychotherapeut wurde am 26. März 1905 in Wien geboren. Victor Fankl war Jude. Im Zweiten Weltkrieg überlebte er vier Konzentrationslager, verlor seine Frau und seine Eltern. Während seiner Leidenszeit im KZ stellte er sich die Frage, warum manche Menschen selbst unter den furchtbarsten Umständen ihren Lebenswillen nicht aufgeben. In seinem Bestseller „…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ beschreibt er seine Formel für das Überleben in der Hölle: Menschen können alles aushalten, wenn sie einen übergeordneten Sinn sehen. Victor Frankl nimmt damit Bezug zu dem berühmten Aphorismus Friedrich Nietzsches. Er schreibt dazu 1957 im vierten Band seines Handbuchs der Neurosenlehre und Psychotheraphie: „Ein Wort von Nietzsche war es, das man als Motto über die ganze psychotherapeutische Arbeit im Konzentrationslager hätte setzen können: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“
Dieser Ausspruch wird zum Leitsatz der von Frankl begründeten „Logotherapie“. Die Grundannahme über den Menschen in dieser Form der Psychotherapie ist die Idee vom Streben nach Sinn. Die Sinnsuche wird als maßgeblich für Denken, Verhalten und Handeln verstanden. Victor Frankl selbst glaubte fest daran, dass er das KZ nur durch seinen bedingungslosen Glauben an einen Sinn überlebte. Er leitete daraus ab, dass Menschen die Vision auf eine Zukunft, Aufgaben und das Wiedersehen mit einem geliebten Menschen am Leben hält. Er sagte dazu: „Jeder hat sein Auschwitz“. Es sei die innere Einstellung, die einen auf der einen oder auf der anderen Seite stehen lässt. Lebensmotto: „Trotzdem!“ Es gäbe keine einzige Lebens- oder Leidenssituation, die nicht irgendeine Möglichkeit böte, sie in eine sinnvolle Leistung umzuwandeln.
Nach Viktor Frankl ist der Mensch ein Wesen, das dauerhaft auf der Suche nach Sinn ist. Menschen wollen ihre Existenz sichern, sich verwirklichen und den eigenen Platz finden. Er sah den Sinn seines Lebens darin, anderen Menschen dabei zu helfen, ihren Sinn zu entdecken. In der Therapie hat er versucht, Sinn und Bedeutung hinter den Krankheiten seiner Patienten zu finden. Sein logotherapeutisches Maxim lautete: Erkenne, dass Du selbst verantwortlich bist für Dein Leben und deshalb auch selbst alle sich bietenden Chancen ergreifen musst. Das heißt auch, dass der Mensch nicht determiniert ist durch seine Vergangenheit, sondern seine Welt nur im Heute aktiv gestalten kann.
Wie findet der Mensch seinen Sinn? Frankl hat drei Vorschläge: Man müsse (1) schöpferisch sein – Wert schaffen und Taten umsetzen, (2) lebend sein – die Schönheiten der Natur erkennen, den Kern des Menschen sehen und lieben sowie (3) tapfer und würdevoll sein – mit Haltung Leiden auf sich nehmen.
Wie lebt man ein sinnvolles Leben: Durch Urvertrauen, Demut, Geborgenheit, Bescheidenheit, Offenheit der Angst gegenüber, Zeit bewusst gestalten, nicht vertun, mit Kräften bewusst haushalten, mit materiellen Ressourcen gut umgehen, bewusstes Gestalten der Möglichkeiten, die das Leben bietet, in Stille gehen, ruhig werden, sich nicht immer berieseln lassen, sich „besinnen“, Unrecht einstecken und wegstecken zu können.
Die Philosophie Victor Frankls bietet eine gute „Hintergrundfolie“ auch für die Sinnsuche von Unternehmen und das Verhalten ihrer Mitarbeiter. Um der Frage nach dem Sinn von Organisationen auf den Grund zu gehen, gilt es ihren Daseinszweck – den Purpose – offenzulegen. Der Purpose beantwortet die Grundfragen jedes unternehmerischen Selbstverständnisses: Wer sind wir – wofür stehen wir – was sind die Gründe für unser Tun? Die Entdeckungsreise zum unverwechselbaren Sinn-Kern des Unternehmens ist ein Prozess. Er führt über die Lebenslinien der Vergangenheit, reflektiert Positionen, innere Stärken und Trends in der Gegenwart und blickt auch in die Zukunft. Der Purpose beschreibt den Lebensnerv der Organisation. Ihn zu definieren ist ein Such- und Findungsprozess – ihn täglich unter Beweis zu stellen eine große Herausforderung.
Wie Sie den Purpose Ihres Unternehmens als Teil eines strategischen und kulturellen Leitbildes entwickeln erfahren Sie hier:
Purpose, Vision und Werte: Eine starke Identität entwickeln, Sinn und Stabilität vermitteln