Die Fachzeitung Horizont beschäftigt sich mit dem Thema Markenmanagement in deutschen Unternehmen. Impulse dafür gaben Beiträge von Teilnehmern beim Deutschen Medienkongress. Im Gespräch mit Hans-Ulrich Cyriax nehmen sie den Faden auf.
Herr Cyriax, wie stehen Sie zu der These, deutsche Unternehmen würden Kontinuität vermissen lassen und zu schnell auf mögliche Umsetzungsfehler reagieren, indem sie ihre Markenpositionierung ändern, statt an ihrer Markenstrategie festzuhalten?
Die Hypothese unterstellt einen allgemeinen Trend, den ich nicht sehe. Sicher, Produktentwicklungszyklen werden kürzer, der Wettbewerb härter, die Geduld der Shareholder geringer. Kontinuität in der Markenführung ist da ein hehres Ziel. Markenmanager sollten abwägen, ob es sich langfristig lohnt, jeden strategischen Schwenk mitzumachen. Denn das Image einer Marke ist ein träges Konstrukt. Es dauert lange, bis es in den Köpfen der Menschen verankert ist und noch viel länger, es wieder zu ändern. Deshalb ist eine starke Positionierung möglichst unabhängig von taktischer Geschäftspolitik und immun gegen mögliche Umsetzungsfehler. Sie sollte wie ein großer Tanker das Markenschiff auf Kurs halten, auch wenn die strategischen Wellen hoch schlagen. Nehmen wir „Brille: Fielmann“. Der Brillenhändler ist nicht eben cool, seine Läden eher konservativ, die Marke wenig sexy. Und doch ist Fielmann glaubwürdig – durch kompetente Beratung und guten Service, durch ein optimales Preis- Leistungsverhältnis, durch Nähe und Verlässlichkeit. Die Marke zeigt Kontinuität und Bodenhaftung, obgleich die Billigkonkurrenz im Internet aggressiver wird.
Brauchen Marketingentscheider gerade in der heutigen Zeit nicht mehr Coolnes? (Das hatte Mercedes-Markenchef Anders Sundt Jensen auf dem Deutschen Medienkongress gefordert.)
„Mehr Coolness!“, das klingt toll. Was aber heißt heute „cool“ sein? Wir haben deutsche Jugendliche im Alter von 16 bis 26 Jahren befragt. Einerseits assoziieren sie mit dem Begriff Eigenschaften wie „locker und lässig“, andererseits auch „authentisch, selbstbewusst und sozial“. Kontroverse, eher kantige Assoziationen, wie „rebellisch“ oder „arrogant“ schnitten weniger gut ab. Coole Marketingentscheider sollten deshalb locker-lässig das Authentische wagen. Sie sollten weg von der MaFo-Hörigkeit, hin zum Kern der Marke und zum Vertrauen auf ihr Bauchgefühl. Mercedes beispielsweise war mal cool, weil Mercedes eben Mercedes war und für automobile Innovationen stand. Ob Benzin-Direkteinspritzung beim legendären 300er SL, ob Turbodieselantrieb, ABS oder ESP – die Marke war technisch stets Impulsgeber der Branche. Gleichzeitig stand Mercedes für Qualität, Sicherheit und Komfort. Schaut man sich die neue A-Klasse an, so versucht sich die Marke an Jugendlichkeit um jeden Preis. Ergebnis: pure Beliebigkeit. Cool sein heißt eben authentisch sein – Mercedes sollte zurück auf den „Pfad der Tugend“ und einfach wieder Mercedes sein.
Wann steigt Ihrer Ansicht nach der Druck auf Marketingchefs, allzu schnell grundlegende Strategien zu ändern? Inwieweit ist das von dessen Position im Unternehmen abhängig?
Wenn es im Vertrieb hakt, Produktzyklusintervalle kürzer und Märkte gesättigter werden, wenn der Wettbewerb zunimmt und die Eigenkapitaldecke schwindet, wächst automatisch der Druck auf die Marketingchefs. Genau dann beweist sich ihr Rückgrat und die Kultur eines Unternehmens. Viele CEO´s sind schnell bei der Kürzung der Marketingbudgets und setzen die Kosten gegen kurzfristig sichtbaren Nutzen. Jeder Marketingchef ist gut beraten, dem Druck dieser Situation stand zu halten und als Anwalt der Marke aufzutreten. Sein Plädoyer sollte stets weitsichtig sein und kurzfristige Hektik ignorieren. Nur wer die Ruhe bewahrt, sich auf die Stärken der Marke beruft und die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt rückt, wird überleben. Vorstandschefs kommen und gehen – die Marke bleibt. Deshalb: Strategisches Marketing ist eine Führungsaufgabe mit hoher Verantwortung. Um ihr gerecht zu werden, braucht diese Position hierarchische Durchsetzungspower und Manager mit Persönlichkeit und Stehvermögen.
Durch das Stratos-Projekt von Red Bull hat das Thema Content Marketing/Owned Media einen weiteren Schub erhalten. Was halten Sie von der These, Unternehmensmedien können nur dann erfolgreich sein, wenn sie Aufmerksamkeit durch Polarisierung erzielen?
Red Bull finanzierte Felix Baumgartner den sinnlosesten Sprung der Weltgeschichte und erhält dafür omnipräsente Aufmerksamkeit. Red Bull verleiht eben Flügel – das passt. Man wolle „Menschen inspirieren, Großes zu wagen“ – so der Konzern. Das klingt nach PR. Eine Polarisierung kann ich hinter dieser genialen Marketingaktion allerdings nicht erkennen. Was wäre eigentlich passiert, wenn der todesmutige Springer das Experiment mit seinem Leben bezahlt hätte? Red Bull in der Todeszone – da hätten sich die PR- und Marketingstrategen wieder etwas einfallen lassen müssen.
Welche deutschen Marken sind Ihrer Meinung nach bereit zu polarisieren resp. setzen dieses Prinzip – erfolgreich oder erfolglos – um?
Aufmerksamkeitsstarke Werbung lebt von der Polarisierung. Polarisierende Kampagnen wie „Geiz ist geil“ oder „Ich bin doch nicht blöd“ gehören zwar in die unterste Schublade guten Geschmacks – aber jeder kennt die Sprüche dieser Marken. Polarisierung ist Segen und Fluch zugleich. Hat eine Marke erst einmal einen bestimmten Stempel, wird sie ihn so schnell nicht wieder los. Zur Polarisierung gehört Mut, nicht eben eine Tugend deutscher Marken. Sixt gönnt sich ab und zu einen Schuss Frechheit. Eine Marke mit einer polarisierender Mission ist zweifelsohne Benetton: Mit Provokationen und Tabu-Themen sorgte Oliviero Toscani weltweit für Kontroversen. Durch seine Aufklärungsarbeit in Werbekampagnen avancierte der italienische Kleiderkonzern zu einer der bekanntesten Marken der Welt.
Inwiefern kann die Contentmarketing-Strategie von Red Bull Unternehmen als Vorbild dienen?
Was für ein Null-Begriff: Contentmarketing-Strategie. Ohne Inhalt ist Marketing inhaltsleer. Leere kann man auch im Internet schwer finden. Ob jedoch die derzeit dargebotene Inhaltsfülle ein Indiz für Verstehen, gar für Verständigung ist, darf bezweifelt werden. Wir verfügen heute über so viel abrufbaren „Content“ wie nie zuvor. Sind wir deshalb schlauer oder vernünftiger geworden?
Inwieweit stimmen Sie der These zu, bei Vorständen deutscher Unternehmen sei markenstrategisches Denken nur selten verankert?
In den Chefetagen deutscher Unternehmen hat es sich mittlerweile rumgesprochen, dass die Marke ein wichtiges Instrument der Unternehmensführung und ein entscheidender Stellhebel für unternehmerischen Erfolg ist. Die meisten CEO´s, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, waren offen und lernfähig. Hin und wieder treffe ich sogar auf Vorstände mit einem bemerkenswerten Gespür für ihre Marke. Aber das heißt noch nichts. Zwar finden die meisten CEO´s die Marke wichtig – auf ihrer strategischen Agenda rangiert sie jedoch meist auf den hinteren Plätzen.
Hans-Ulrich Cyriax, Geschäftsführender Partner der Cyriax Strategie- und Markenberatung. Cyriax ist ausgewiesener Markenexperte, Coach und Organisationsentwickler. Er berät internationale und mittelständische Konzerne, war mehr als zehn Jahre Executive Consultant renommierter Markenberatungen sowie Leiter des Strategischen Marketings der Dresdner Bank.