In Deutschland leiden rund zwei Millionen Patienten an Krebs, fünf Millionen Menschen sind an Diabetes erkrankt und ungefähr sechs Millionen Männer und Frauen haben hierzulande chronische Schmerzen. Es gibt viel zu tun für die Arzneimittelforschung. Doch die Entwicklung eines neuen Medikaments ist langwierig und komplex: Bis zum Einsatz in der ärztlichen Behandlung dauert die Arzneimittelentwicklung 10 bis 16 Jahre und kostet durchschnittlich 500 bis 600 Millionen US-Dollar. Im High-Tech-Screening testet ein Labor beispielsweise bis zu 200.000 Wirkstoffe und Substanzen pro Tag, von denen bereits 93 Prozent im Reagenzglas scheitern.
Von Hans-Ulrich Cyriax, Dr. Klaus Schmidt, erschienen in „wörkshop“, Zeitschrift für Marketing, Messe, Event“, Februar 2006
Ohne forschende Arzneimittelhersteller gibt es bei Medikamenten keinen Fortschritt zum Wohle der Patienten. Auf dieser Logik gründen die Geschäftsmodelle forschender Arzneimittelhersteller und ihr wirtschaftlicher Erfolg. Eine Strategie, die in hohem Maße personal- und kostenintensiv ist und sich auszahlen muss. Forschende Pharmaunternehmen sind davon abhängig, dass Ärzte den Wert von Innovationen im Arzneimittelbereich kennen, nachvollziehen können und die Präparate entsprechend verschreiben. Gleichzeitig sind sie zwingend auf einen mündigen und aufgeklärten Patienten angewiesen, der die individuell beste Medikation nachfragt und auch einfordert. Doch zwei Drittel der Bevölkerung sind der Meinung, dass häufig nicht das beste Medikament verordnet wird, sondern das billigste, so eine aktuelle, bevölkerungsrepräsentative Befragung von tns Emnid.
Bekanntheit und Reputation durch Imagekampagne
Grund genug für die forschende Pharmaindustrie, den Wert von Forschung in den Mittelpunkt einer breit angelegten Marketingkampagne zu stellen. Seit Juni 2004 wirbt der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller mit Werbeanzeigen und dem Claim „Forschung ist die beste Medizin“. Manko der Aktion – die Themen und Botschaften erzeugen zwar ein allgemeines Bewußtsein für den Wert von Forschung, sie stehen jedoch nicht im unmittelbaren Zusammenhang zur jeweiligen Marke der im Verband zusammengeschlossenen 38 forschenden Arzneimittelhersteller.
Das beklagt auch Schering-Chef Hubertus Erlen, der in der ‚Welt am Sonntag’ sagt: „Es ist uns offensichtlich nicht gelungen, den großen Wert neuster Medikamente auf das Image der Unternehmen zu übertragen. Wir müssen besser vermitteln, dass Forschung die beste Medizin ist.“
Verändertes Informationsverhalten der Zielgruppen
Um die Überlegenheit eines Medikaments durch nachweisbare Produktvorteile zu vermitteln, greift eine emotional aufgelandene Marketingkampagne allerdings zu kurz. Ärzte, Apotheker und auch Patienten besitzen heute differenzierte Informationsbedürfnisse. Der Patient weiß in der Regel sehr genau, was er will. Er ist zunehmend informierter, preisbewusst, unabhängig und selbstbewusst. Untersuchungen belegen, dass gerade Menschen mit komplizierten Krankheitsbildern und Heilungsverfahren genau über ihre Möglichkeiten Bescheid wissen und gezielt die für sie plausibelsten Verfahren und Medikamente vom Arzt einfordern. War früher der Arzt der einzige Wissensträger, ist der Patient heute wesentlich unabhängiger von seinem Einfluss, hat Zugriff auf Vergleichsdaten und Erfahrungsberichte. Die Rolle des Arztes definiert sich dadurch völlig neu und die Funktion der Pharmaunternehmen als Informationsquelle und Kommunikationspartner bekommt vollkommen andere Impulse.
Strategischer Markenaufbau als Lösung
Gerade forschende Unternehmen sind dabei auf die Stärke ihrer Marken angewiesen. Denn die Entwicklung neuer Medikamente wird immer aufwändiger und sie kostet Zeit. Hinzu kommt, dass sich der Patentschutz verkürzt und ein frühzeitiger Markenaufbau noch innerhalb der Entwicklungsphase überlebensnotwendig wird.
Wie aber entstehen Markenvertrauen und letztlich Markenzufriedenheit im Bewusstsein der Zielgruppen? Der Ansatz ‚Holistic Solutions’ von Henrion Ludlow Schmidt bezieht bei der Entwicklung und Führung von Marken alle kritischen Erfolgsfaktoren ein. Marken- und Unternehmensidentitäten werden danach in sechs zueinander in Wechselwirkung stehende Dimensionen strukturiert: Märkte & Kunden, Produkte & Services, Design, Kommunikation, Kultur und Verhalten. Zur Steuerung dieser Dimensionen muss zunächst ein übergeordnetes, strategisches Ziel definiert werden: Welche Vision leitet sich aus der Unternehmensstrategie ab, welche Idee soll über die Marke umgesetzt werden? Hier kommt es darauf an, eine deutlich erinnerbare, motivierende, ehrgeizige und gleichzeitig realistische Aussage zu formulieren. Darauf aufbauend werden die Schwerpunkte für die operative Umsetzung definiert: Welche Ressourcen, Kernkompetenzen, Wege und Maßnahmen müssen eingesetzt werden, um das definierte Ziel zu erreichen? Wertehaltungen, die dem gemeinsamen Denken und Handeln zugrunde liegen sollten, werden über die Grundwerte zum Ausdruck gebracht. Sie haben besondere Relevanz für das Verhalten – zum Beispiel des Außendienstmitarbeiters – und orientieren sich an der übergeordneten Zielsetzung. Den Kern der Positionierung bilden Unterscheidungsmerkmale inklusive rationaler und emotionaler Ausprägungen. Der Schwerpunkt vieler Pharmamarken fokussiert heute einseitig auf die medizinische Indikation und die spezifischen, rationalen „Produkteigenschaften“ zur Verträglichkeit, Wirksamkeit oder Neuartigkeit. Eine emotionale Markenbindung ist auf dieser Argumentationsebene allein schwer herzustellen. Letztlich wird der Kundennutzen definiert, der den Mehrwert für die relevanten Zielgruppen beschreibt sowie das Leistungsversprechen, das in den Köpfen aller Bezugsgruppen verankert sein sollte.
Accu-Chek: Erfolg durch eine umfassende Markenstrategie
Am Beispiel von Diagnostika-Produkten wie Blutzuckermessgeräte für Menschen mit Diabetes, lässt sich die Anwendungung einer identitätsorientierten Markenstrategie eindrucksvoll aufzeigen. Das im Diagnostik Markt weltweit führende Unternehmen Roche Diagnostics hat mit der Entwicklung und Etablierung der Diabetes-Dachmarke Accu-Chek ein strategisches Markenmanagement eingeführt, das rationale Orientierung und emotionale Sicherheit für die Kunden miteinander verbindet und die Differenzierung von Unternehmen, Dachmarke und Leistungen auf internationaler Ebene garantieren soll. Accu-Chek ist positioniert als globale Marke, die dafür steht, die Lebensqualität der Menschen mit Diabetes zu maximieren. Der Markenkern sowie der zentrale Kundennutzen kommt über den Slogan „Leben. So wie ich es will.“ zum Ausdruck. Diese Positionierung weist die Richtung für sämtliche Interaktionen mit der Marke zum Beispiel am Point of Sale, durch unterstützende Dienstleistungen, die Markenkommunikation oder das Verpackungsdesign. Heute ist Accu-Chek – auch Dank eines konsequenten Markenmanagements – mit zwei Milliarden Schweizer Franken die umsatzstärkste Marke im Roche Konzern.
Relevanz der Markenpositionierung auch für das Verhalten
Fest steht, dass sich ständig ändernde Bedingungen des Marktes sowie wachsende Anforderungen der Verbraucher auch für Pharmaunternehmen ein umfassendes Markenmanagement notwendig machen. Dabei gilt es auch das Verhalten der Mitarbeiter – zum Beispiel im Arzneimittelvertrieb – über die Vorgaben aus der Markenpositionierung zu beeinflussen. Doch gerade hier bleibt es vielfach bei dem formulierten Anspruch vieler Führungskräfte „Wir müssen die Marke leben.“ Nach einer aktuellen Studie von Henrion Ludlow Schmidt hat die Mehrzahl der deutschen Top-100-Unternehmen – branchenübergreifend – noch Nachholbedarf bei der verhaltensrelevanten Implementierung ihrer Markenstrategie. Zwar sind zumeist Markenpositionierungen definiert, die Umsetzung zielt allerdings vor allem auf rein kommunikative Aspekte. Nach Angabe der Befragten hat nur in 29 Prozent der Unternehmen die Markenpositionierung auch Auswirkungen auf das Verhalten der Mitarbeiter und die Einlösung des Leistungsversprechens. Notwendig wäre, die zentralen Positionierungsinhalte und die sich daraus ergebenden Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeiter auf die spezifischen Rahmenbedingungen einzelner Organisationseinheiten herunter zu brechen und über Qualitäts-, Führungs- und Kommunikationsstandards operativ relevant umzusetzen.