Ein Gespräch mit Hans-Ulrich Cyriax für „InternAA“, dem Mitarbeitermagazin des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, Oktober 2006
InternAA: Die Frage der Kommunikation ist: Wer sagt was zu wem und durch welches Medium? Man könnte hinzufügen: Wer nichts erfährt, wessen Stimme nicht gehört wird, ist durch fehlende Kommunikation frustriert.
Hans-Ulrich Cyriax: Absolut. Menschen wollen verstehen. Sie wollen ein Höchstmaß an Einsicht in Zusammenhänge, und sie wollen das Wissen für die optimale Lösung. Wer informiert ist, denkt mit. Dieses Mitdenken stärkt die Zusammenarbeit und fördert die Leistung. Wer informiert ist, kann mitentscheiden und mitverantworten. Daher ist die interne Kommunikation ein sehr wichtiges Führungsinstrument.
InternAA: Welches ist das beste Mittel dafür?
Hans-Ulrich Cyriax: Es gibt formelle und informelle Möglichkeiten der internen Kommunikation. Von den formellen Formen ist laut Umfragen die Mitarbeiterzeitung das wichtigste und effizienteste Instrument. Sie hat sowohl einen offiziellen als auch einen internen Charakter, indem sie Mitarbeiter unzensiert zu Wort kommen lässt. Ganz oben rangiert auch – man glaubt es kaum – das Schwarze Brett. Und nicht zu vergessen das Intranet. Wovor sich Unternehmen häufig scheuen, was aber eines der glaubwürdigsten Instrumente überhaupt ist, sind Briefe vom Top-Management. Ich habe ein Unternehmen in einer massiven Umbruchsituation beraten. Die anstehenden Veränderungen wurden nachvollziehbar durch monatliche Briefe des Vorstandsvorsitzende an die Mitarbeiter, die begeistert gelesen, ja sogar gesammelt wurden. Diese Briefe waren glaubwürdig, weil sie schonungslos offen und sehr persönlich formuliert waren. Entscheidend ist darüber hinaus, dass eine Form gefunden wird, die Dialog ermöglicht.
InterAA: Warum Dialog?
Hans-Ulrich Cyriax: Der Dialog hat ja in unserer Gesellschaft keinen besonders hohen Stellenwert. Man hat heute häufig eine vorgefertigte Meinung und weiß, was zu tun ist. Im Dialog hingegen entsteht der Standpunkt erst während des Gesprächs. In der internen Kommunikation erfordert der Dialog die vorurteilsfreie Offenheit von Vorgesetzten und Mitarbeitern und knüpft an konkreten Erfahrungswelten an. Im Ergebnis entsteht eine gemeinsame Meinung über einen Sachverhalt oder eine Aufgabe.
InternAA: Wie entsteht so eine Kultur des Dialogs?
Hans-Ulrich Cyriax: Eine Kultur entsteht nicht über Vorgaben. Sie entsteht über gewachsene Strukturen und Prozesse. Grundlage ist ein klares Bild darüber, wie man miteinander arbeiten möchte. Bild ist ein sehr schönes Wort, weil es zu dem Wort Leitbild führt. Ein Leitbild ist ein Instrument, das von Organisationen genutzt wird, ihr eigenes Profil und Selbstverständnis zu definieren. Das Leitbild ist die Grundlage für unternehmerisches Handeln. Es zeigt auch auf, wie beispielsweise Führung organisiert ist, welche Art von Kommunikation gelebt werden soll. Volkswagen zum Beispiel hat ein Leitbild, in dem zu lesen ist: Hierarchie schlägt nur im Ausnahmefall die Kompetenzentscheidung. Das ist natürlich Sprengstoff und hat auch für die interne Kommunikation weitreichende Auswirkungen. Denn so wie Strukturen organisiert sind, wird auch kommuniziert.
InternAA: Also auch “Flurfunk” und Kantinengespräche…
Hans-Ulrich Cyriax: Bei den informellen Kanälen verhält es sich wie mit Trampelpfaden: Stellen Sie sich ein quadratisches Grundstück ohne Zaun vor, um das ein Weg verläuft. Niemand wird diesen Weg nutzen, sondern automatisch quer über das Grundstück gehen. So entsteht ein Trampelpfad. Irgendwann wird der Trampelpfad zum offiziellen Weg. Auch in der internen Kommunikation sollte man die Trampelpfade nutzen und formelle Wege daraus entwickeln.
InternAA: Wie geht das?
Hans-Ulrich Cyriax: Da müßte man herausfinden, welche Themen im Flurfunk behandelt werden. Wenn zum Beispiel Personalentscheidungen nicht transparent sind, werden sie über den Flurfunk von Tür zu Tür getragen. Wenn hingegen eine Kommunikationskultur existiert, bei der anstehende Veränderungen schnell transparent gemacht werden – vorausgesetzt sie können intern veröffentlicht werden – bilden sich erst gar kein Trampelpfade. Entscheidend ist, dass Mitarbeitern immer das Gefühl des Informiertseins vermittelt wird. Das Gefühl des Informiertseins hat nicht damit zutun, wie gut und wie häufig informiert wird. Es hat eher damit zu tun, dass jeder im Unternehmen weiss: Was auch geschieht, ich werde informiert, und zwar rechtzeitig.
InternAA: Wenn man die “Trampelpfade” formalisiert, wie Sie sagen, dann werden sich eben neue Trampelpfade bilden.
Hans-Ulrich Cyriax: Sie haben völlig recht. Die informelle Kommunikation ist wichtig und dient vornehmlich der Befriedigung emotionaler und sozialer Informationsbedürfnisse. Die muss es auch geben. Sie sind ein Teil der sozialen Hygiene. Trotzdem: Die Inhalte des Flurfunks sind die Defizite der internen Kommunikation.
InternAA: Wenn man diese Defizite zum Beispiel in einer Mitarbeiterzeitung zur Sprache bringen wollte, müßten die Mitarbeiter bereit sein, offen und kritisch zu schreiben.
Hans-Ulrich Cyriax: Der Vorwurf an Mitarbeiterzeitungen ist häufig, dass ihre Informationen unvollständig und zensiert sind. Mitarbeiterzeitungen gelten oft als Hauspostillen, in denen unglaubwürdig, unklar, vielleicht auch unqualifiziert kommuniziert wird. Ich glaube, dass Mut zur Wahrheit, das Bemühen, die Geschehnisse so objektiv wie möglich darzustellen, für die Aufnahme der Information eines der Erfolgsgeheimnisse schlechthin ist.
InternAA: Was ist aus der Sicht des Arbeitgebers zu bevorzugen: die direkte, menschliche Kommunikatin oder die eletronische?
Hans-Ulrich Cyriax: Es muss eine Mischung geben. Je engmaschiger das Netz der internen Kommunikation ist, desto leichter ist es, an Informationen zu kommen, und desto leichter stellen sich auch die Ziele ein, die verfolgt werden sollen. Man kann drei Bereiche grob definieren: Es sollte allgemeine Informationen für Mitarbeiter geben, es sollte gruppenspezifische Informationen geben, und Informationen über elektronische Medien wie Intranet, E-Mails oder auch einen Imagefilm.
InternAA: Und wie soll man das alles noch aufnehmen und verarbeiten?
Hans-Ulrich Cyriax: Durch die Reduzierung von Komplexität. Wir werden aus allen Richtungen mit Informationen zugeschüttet. Dem steht die große Sehnsucht nach Einfachheit gegenüber. Es ist nicht die Quantität, auch nicht immer die Qualität, die das Gefühl der rechtzeitigen Information erzeugen. Es hat auch mit der Aufbereitung zu tun. Nehmen wir die Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ – in der Vergangenheit nicht unbedingt berühmt für ihre Plakativität. Schauen Sie sich die Zeitung heute an: Halbseitige Bilder höchster Qualität, die neugierig auf den Inhalt der Artikel machen. Dieses Prinzip kann auch auf Onlinemedien übertragen werden. Moderne Websites haben eine völlig andere Verteilung von Text und Bild, weil über emotionale Anreize Informationen besser verarbeitet werden können. Das sollte auch für das Intranet genutzt werden, um Komplexität zu reduzieren. Denn oft ist das Intranet eine Informationsmüllhalde, in deren Katakomben viel zu viele Informationen mit viel zu vielen Details versteckt werden.
InternAA: Vom Intranet verspricht man sich aber sehr viel.
Hans-Ulrich Cyriax: Man macht es sich zu leicht, wenn man davon ausgeht, mit Intranet oder Mitarbeiterzeitung die Pflicht und Schuldigkeit der internen Kommunikation getan zu haben. Letztlich ist interne Kommunikation eine Frage der Unternehmenskultur. Das wird oft nicht gesehen, weil man zu sehr in Maßnahmen und Instrumenten denkt. Doch das Gefühl des Informiertseins, die Art und Weise wie Mitarbeiter in Veränderungsmechanismen eingebunden werden, wie sie geführt werden, hat sehr viel damit zu tun, wie die Unternehmenskultur – auch in einem Ministerium – entwickelt ist. Es gibt einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Gefühl des Informiertseins und der Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Informieren ist ein Führungsinstrument, das unmittelbaren Einfluß auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter hat, weil darin auch ein Moment der persönlichen Zuwendung liegt. Das wirkt unmittelbar auf das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter, am richtigen Platz die Arbeit zu tun, die gebraucht wird.