Führungskräfte wissen heute, dass sich ihr Unternehmen permanent an neue Rahmenbedingungen anpassen muss, damit es sich auf Dauer am Markt behaupten kann. Doch wer will sich schon freiwillig verändern? Zumal, wenn es doch vielen Unternehmen – zumindest in Deutschland – aktuell wirtschaftlich gut geht und es kaum eine unmittelbare Notwendigkeit für einen „Change“ gibt. Nur wenigen Unternehmen gelingt es, die Dynamik wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungsprozesse in überzeugende Strategien für ein übergreifendes und kontinuierliches Change-Management-Programm im Unternehmen zu übersetzen.
Die Fähigkeit sich zu verändern hat viel mit der Kultur eines Unternehmens zu tun. Meist ist die Unternehmenskultur jedoch eine Schönwetterveranstaltung, ein Spielfeld der Personal- und Kommunikationsabteilung. Sie wird als „weicher Faktor“ diskreditiert und ist häufig genug ein Feigenblatt der Selbstdarstellung. Dabei ist seit langem nachweisbar, dass die Kultur eines Unternehmens in hohem Maße über seinen Erfolg bestimmt. Sie manifestiert die Identität eines Unternehmens und legt frei, welche Wertehaltung sein Handeln bestimmt. Vor allem in Zeiten permanenter Veränderungen ist die Unternehmenskultur die Landkarte für erfolgreiches Change Management.
Die Zeiten ändern sich – es ist daher Zeit für neue Leitbilder
Ein konstituierendes Element von Unternehmenskultur stellt das Leitbild dar. Fast jede Firma hat eins. Fast keine Firma lebt oder liebt es. Vor gut zehn Jahren schwappte eine wahre „Leitbildwelle“ über deutsche Unternehmen. Es war angesagt, mit Führungskräften und Mitarbeitern einen partizipativen Prozess der Identitätsfindung zu initiieren. Schon damals war klar, jedes Leitbild ist nur so gut, wie es im Unternehmensalltag eine Bedeutung und Relevanz hat, wenn es zur Richtschnur unternehmerischen Handelns wird, bewusst Handlungsspielräume aufzeigt, Grenzen setzt und Perspektiven der Zusammenarbeit definiert. Weil das häufig nicht geschieht, haben Leitbilder eine schlechte Lobby. Sie gelten vielfach als sozialromantische Dokumente, in denen allgemeingültige Binsenweisheiten zu ethischem und moralischem Verhalten formuliert werden. Werte wie Integrität, Vertrauen und Respekt werden lax aneinander gereiht und mit Appellen an die Mitarbeiter „Ihr müsst das Leitbild leben“ verbunden. Wie schwer das fällt war und ist in der Finanzdienstleistungsindustrie zu beobachten. Gewinn war dort wichtiger als Ethik. Um so schwerer ist es nun, das Ruder herum zu reißen und eine neue Kultur zu etablieren, wie es die Deutsche Bank derzeit proklamiert.
Die Grundlage für Vertrauen und nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg legen
Was ist nun eigentlich zu tun? Braucht es neue Leitbilder, erneut Prozesse der Selbstvergewisserung oder Selbstfindung? Die Antwort lautet schlicht: Ja. Denn klar ist, dass im Leitbild die Ziele des Unternehmens transparent gemacht, die Grundsätze, Maßnahmen und Mittel zu deren Realisierung dargelegt und die Relevanz für das Handeln jedes einzelnen Mitarbeiters aufgezeigt werden. Damit wird das Leitbild zur Grundlage, um Veränderungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu vermitteln und zu managen. Es bietet sowohl den Mitarbeitern, als auch den Kunden und anderen Stakeholdern eine klare Orientierungs- und Handlungsbasis. Ein so verstandenes Leitbild wird zum strategischen Managementinstrument und zum Werttreiber für das gesamte Unternehmen. Es schafft Vertrauen und damit die Grundlage für nachhaltigen, wirtschaftlichen Erfolg.
Ein Leitbildprozess sollte als zentrales Instrument des Change Managements initiiert werden und vor allem als Führungsaufgabe verstanden werden. Dabei geht es darum, ökonomische, gesellschaftliche und bisweilen auch individuelle Ziele auf einen Nenner zu bringen und alle Argumente für den Erfolg eines Unternehmens argumentativ zu bündeln. Dieser Prozess bedarf eines ganzheitlichen, interdisziplinären und darüber hinaus pragmatischen Vorgehens. Dabei sind Vision, Mission und Werte ergänzt um ein operatives Leistungsversprechen die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung jeder Unternehmensstrategie. Mit einer überzeugenden Vision lassen sich klare Ziele für das Unternehmen und seine Marke vorgeben. Doch jedes Ziel muss sich beweisen, muss sich seine Glaubwürdigkeit durch konkrete Nachvollziehbarkeit erst verdienen. Entscheidend sind deshalb auch die Maßnahmen und Mittel, es auch umzusetzen. Um eine breite Akzeptanz für das Leitbild zu erreichen, sollten sowohl in den Erarbeitungs- als auch den Umsetzungsprozess die Führungskräfte und Mitarbeiter einbezogen werden. Wo wäre Ikea heute ohne seine Vision, durch innovative Ideen funktionale Möbel zu niedrigen Preisen herzustellen? Warum sonst bezahlen Kunden für eine Waschmaschine von Miele deutlich mehr, als für Produkte einer anderen Marke – gäbe es da nicht die Vision, dass Miele-Markenprodukte eben „immer besser“ sind?
Schöne Grundsätze nützen nur, wenn Sie auch ‘gelebt‘ werden
Mit der Umsetzung ihrer Leitbilder tun sich Unternehmen jedoch meist schwer. Gutgemeinte Versuche, zum Beispiel einzelne Vorstände zu Mentoren von Leitbildbestandteilen zu machen und damit auch die Implementierung zur Chefsache zu erklären, versanden vielfach im operativen Tagesgeschäft. Appelle wie „Wir müssen das Leitbild jetzt leben“ sind Hilfeschreie während der Umsetzung. Die Intention jedoch – Führungskräfte in die Verantwortung für die Operationalisierung zu nehmen – ist der richtige Schritt. Denn Führen heißt Vorbild sein und das Leitbild im gesamten Unternehmen zu ‘leben‘ fängt bei ihnen an. Doch wie sieht das konkret aus? Welche Instrumente unterstützen die Umsetzung? Relevant, glaubhaft und messbar wird das Leitbild über operative Standards wie Qualitäts-, Führungs- und Kommunikationsstandards. Qualität zum Beispiel wird in Unternehmen oft rein faktenorientiert über Zertifizierungen geregelt. Qualität ist jedoch auch ein Vereinbarungsthema, das seine Erdung im Leitbild hat und auch unter Wahrnehmungsaspekten betrachtet werden muss. Die Art und Weise, wie beispielsweise Fielmann seinen Markenkern an die Kunden vermittelt, hat sehr viel mit der Operationalisierung des Leitbildes zu tun. Denn das Qualitätsversprechen und seine Umsetzung am Kunden ist die konkrete, arbeitsplatzrelevante Interpretation dessen, was im Leitbild als Rahmenbedingung definiert wurde. Je relevanter und präziser die operativen Standards dekliniert werden, desto erfolgreicher wird der Umsetzungsprozess auch von den Mitarbeitern angenommen. Die Leitbildimplementierung ist Teil eines mehrstufigen ‘Brand Engagement Prozesses‘, bei dem es vor allem darum geht, das Markenverständnis aller Mitarbeiter zu vertiefen sowie deren Befähigung in Gang zu setzen, um Motivation, Bereitschaft und Leistungswillen zu stimulieren. Denn erst wenn das Leitbild gelebte Realität wird – und nur dann – kann damit auch Geld verdient werden.
Wertschöpfung durch identitätsorientiertes Markenmanagement
Unternehmen, die heute erfolgreich sein wollen, müssen ihre Kunden begeistern, Shareholder überzeugen und Mitarbeiter motivieren. Dafür sollten sie ihre Strategievorgaben durch ziel- und ergebnisorientierte Führung an alle Beteiligten im Unternehmen vermitteln. Ein darauf aufbauendes Change Management muss, will es als wirksames Instrument für mehr Wertschöpfung eingesetzt werden, zwei wesentliche Bedingungen erfüllen: Es sollte das Leitbild – und damit Vision, Mission und Werte innerhalb einer ganzheitlichen Positionierung als Ausdruck der strategischen Zielsetzung definieren. Und es sollte darauf aufbauend seine operative Relevanz durch eine ganzheitliche Umsetzung auf alle Werttreiber des Unternehmens beweisen.
Autor: Hans-Ulrich Cyriax