Mittelstand – das waren und sind traditionell Firmen, die sich durch eine enge Verbindung von Kapitalstruktur und Management auszeichnen. Mittelständler, das sind oft charismatische Gründer, Inhaber, die gleichzeitig Leitfiguren sind, Familien, die Besitzanteile halten. Ihre Stärken liegen in kurzen Reaktionsgeschwindigkeiten, Innovationsreichtum, einer engen Verbundenheit gegenüber Kunden, Mitarbeitern, Banken und Zuliefern. Ihre persönliche und unternehmerische Risikobereitschaft ist meist hoch. Der Mittelständler positioniert sich als Spezialist auf seinem Fachgebiet und ist gleichzeitig Generalist als Unternehmer.
Von Hans-Ulrich Cyriax
Firmen wie Dräger, Märklin, Vitra, Wilkhahn oder Voith, um nur einige zu nennen, sind Teil der deutschen Mittelstands-Erfolgsgeschichte. Verfolgt man heutzutage die öffentliche Diskussion, ist davon nur noch wenig zu spüren. Seit Jahren ist die Rede von einer „Krise des Mittelstandes“, wird die öffentliche Diskussion beherrscht von Basel II, hoher Abgabenlast, geringen steuerlichen Gestaltungsspielräumen, dünnen Kapitaldecken, zunehmendem Druck und Ansprüchen der Großindustrie und ungeklärten Unternehmensnachfolgen. Außer Frage steht, dass sich Rahmenbedingungen verschärft haben. Doch die viel beschworenen ‚Mittelstandskrankheiten’ sind kein Schicksal. Sie zu heilen bedarf es jedoch mehr als einer Gesprächstherapie. Packt man die Symptome bei der Wurzel, kommt man schnell zu einem Thema, dass – abgesehen von den Paradebeispielen mittelständischer Unternehmen und ihren Weltmarken – häufig vernachlässigt wird: dem Management von Unternehmens- und Markenidentitäten.
Defizite vor allem bei der Positionierung
Eines der mittelständischen Kernprobleme in diesem Zusammenhang ist das Fehlen einer wirklich profilierenden und vom Wettbewerb differenzierende Positionierung sowie einer mangelnden Konzentration auf eindeutige Kernkompetenzen und Markenwerte. Fokussiert hat man sich in der Vergangenheit oft und ausschließlich auf die ‚für sich sprechenden’ Produktvorteile. Und immer noch werden bei zunehmenden Kostendruck die Markentingbudgets zuerst eingefroren, bleiben externe Markenberater aus Angst vor überzogenen Honorarforderungen außen vor, werden viele kleine Agenturen mit vielen kleinen Werbejobs beauftragt. Das Ergebnis ist vielfach unternehmerischer Tatendrang ohne ein Bewusstsein für die Möglichkeiten des strategischen Marketings. Großunternehmen hingegen investieren seit Jahren in Identität und Branding, steuern ihre Kundenwahrnehmungen über die Corporate Identity, binden Mitarbeiter über Identity-Programme, werben Nachwuchs über Employer-Branding, überzeugen Shareholder mittels Investor Relations Branding, erobern neue Märkte auf Grund ihrer Markenkraft und steigern so über effizientes und intelligentes Markenmanagement den Wert ihres Unternehmens. Identitätsmanagement ist Wertschöpfung pur und sollte in diesen Zeiten zur Mittelstandsförderung gehören, wie jede andere struktur- oder finanzpolitische Maßnahme zur Zukunftssicherung auch. Freilich haben auch mittelständische Unternehmen, wie beispielsweise Bulthaupt, Erco, Festo, FSB , Lamy oder Grohe dies seit vielen Jahren erkannt. Doch die anonyme Mehrheit – mit Sicherheit mehr als drei Millionen Mittelständler – haben hier noch gewaltige Defizite.
Corporate Identity als ganzheitlicher Prozess
Der Erfolg eines strategischen und wertschöpfenden Markenaufbaus liegt in der identitätsorientierten und ganzheitlichen Herangehensweise. Corporate Identity beeinflusst entscheidend, wie der Kunde die Produkte und Services im Vergleich zur Konkurrenz wahrnimmt. Sie stellt die Grundlage für das visuelle Erscheinungsbild des Unternehmens und seiner Angeboten dar – von der Visitenkarte, der Verpackungsgestaltung bis hin zum Messeauftritt – sie steuert Kommunikationsprozesse, also die Art und Weise, wie, von wem und über welches Medium kommuniziert wird und ist Ausschlag gebend für das Verhalten der Mitarbeiter. Nicht ohne Grund erwächst beispielsweise die mittelständische Erfolgsgeschichte der international erfolgreichen Vorwerk-Gruppe aus Wuppertal aus dem überzeugenden Verkaufsverhalten ihrer 40.000 Vertreter in aller Welt. Die direkte Ansprache des Kunden mit der Beratung im Wohnzimmer basiert auf einer Corporate Identity, die neben hoher Produktqualität vor allem Wert auf ein ‚Vorwerk-spezifisches’ Mitarbeiterverhalten legt.
Positionierung als Schlüssel für erfolgreiches Identitätsmanagement
Im Fokus aller Dimensionen von Corporate Identity steht die Positionierung: Welche strategischen Ziele peilt das Unternehmens an, auf welche Kernkompetenzen will man sich mittelfristig konzentrieren, wie will man ambitionierte Vorhaben glaubhaft realisieren? Über welche Werte will man wahrgenommen werden, welche rationalen und emotionalen Differenzierungsaspekte sind stark genug und woraus resultiert letztlich für die Kunden ein Vorteil? Jedes professionell arbeitende, mittelständische Unternehmen beschäftigt sich heute mit diesen Fragestellungen. Doch all zu oft existiert die Positionierung nur im Kopf des Unternehmers oder verkümmert in Schubladen und wird nicht aktiv als Instrument der Professionalisierung eingesetzt.
Konsequent angewendet bildet eine fundierte Positionierung, als Teil eines umfassend verstandenen Corporate Identity Verständnisses, jedoch die Grundlage für sämtliche unternehmensbezogenen Prozesse und Aktivitäten. Sie ist beispielsweise die Basis für unternehmensspezifische Qualitätsversprechen, bestimmt grundlegende Formen der innerbetrieblichen Zusammenarbeit, leitet das Führungsverhalten, gibt Mitarbeitern klare Ziele vor oder bildet die Briefinggrundlage für PR- und Werbeagenturen, Messebauer, Promotion- oder Eventspezialisten. Die Positionierung ist der Dirigent aller Kommunikationsaktivitäten. Sie gibt den Takt vor, sie sorgt für ein optimales Zusammenspiel und einen konsistenten, profilierenden Gesamteindruck.
Balance von Unternehmer- und Unternehmensidentität
Auch wenn in der Vergangenheit die Stärke mittelständischer Identität zum Großteil aus der Stärke der Inhaberpersönlichkeit erwachsen ist, reicht das für die Zukunft nicht mehr aus. Spätestens bei Fragen der Unternehmensnachfolge oder bei der Internationalisierung des Geschäfts wird die Positionierung und der Imageaufbau der Unternehmensmarke, der Produktfamilie oder der starken, produktbezogenen Einzelmarke zunehmend wichtiger, müssen national eingeführten Markenpositionierungen international adaptiert werden, geht es um weit mehr als eine einzelne Person. Hier sollte sich der Mittelstand auf die Tugenden von Weitsicht und Souveränität zurückbesinnen. Denn eine erfolgreiche Corporate Identity basiert letztlich auf Teamwork – der perfekten Balance zwischen unterschiedlichsten Kompetenzen auf Grundlage eines ganzheitlichen, identitätsorientierten Markenmanagements.