In der zeitgenössischen Kunst verfließen nicht nur die Grenzen zwischen den Kunststilen, auch was Kunst und was keine Kunst ist, vermag niemand mehr verbindlich zu sagen. „All is pretty“ erklärte Andy Warhol in den 60er Jahren konsequenterweise. Dann produzierte er Abbildungen von Coca Cola Flaschen und Campbells Suppendosen und warf sie als auflagenstarke Siebdrucke auf den Markt. Werbung war kunstwürdig und der Kunstgegenstand zur industriell gefertigten Massenware geworden. Doch auch Warhol betrat kein Neuland: Schon ein halbes Jahrhundert zuvor hatte sich Toulouse-Lautrec als Plakatmaler und Werbegrafiker betätigt. Originalität, der Schlachtruf an der Schwelle zur Moderne, scheint lange verhallt. Serialität war eine zeitlang angesagt. Heute gilt überwiegend „Anything goes“.
Doch der Flirt der Systeme, wie der Kommunikationstheoretiker Siegfried J. Schmidt diese produktiven Grenzüberschreitungen nennt, ist nicht ohne Charme. Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben viele Künstler Elemente aus der Werbeästhetik verwendet, umgekehrt hat die Werbung immer wieder Anleihen bei der Kunst gemacht. Künstler formulieren Werbebotschaften, entwickeln Design und gestalten Verpackungen. Werber greifen zur Inszenierung von Waren auf künstlerische Motive, Werke oder Stile zurück.
Am fremdesten sind sich Kunst und Werbung als Ausdruck des interessenlosen Wohlgefallens auf der einen und als zweckgerichtetes Mittel, ein Produkt an den Mann zu bringen, auf der anderen Seite. Am nächsten sicherlich in der Verwendung von Bildern und der Beschwörung dessen, was hinter den Bildern liegt: Sehnsüchte, Visionen, Träume, Mythen. Dass sich Kunst und Werbung dabei verwandter Prinzipien der Bildkonstruktion bedienen können, ist seit kurzem in jeder Dresdner Bank Filiale zu besichtigen: Eine Reihe neuer Werbebroschüren, die dort ausliegen, arbeitet mit einer Bildsprache, die ganz bewusst bei barocken Meistern in die Schule gegangen ist.
Die Bildsprache ist ein zentrales Element jeder Markenidentität. Bilder wirken emotional, schaffen Persönlichkeit, konkretisieren abstrakte Sachverhalte und ermöglichen so letztlich einem Unternehmen, sich von seinen Wettbewerbern zu differenzieren.
Bei der Entwicklung einer neuen Bildsprache für die Dresdner Bank wurden Meisterwerke der Kunstgeschichte analysiert, vor allem Carvaggio, Vermeer und Velazquez. Die Porträts dieser Künstler folgen bestimmten Konstruktionsprinzipien. Der Bildaufbau berücksichtigt die Regeln des Goldenen Schnitts. Perspektivische Linien strukturieren den Raum, mindestens eine Vertikale ist sichtbar. Mehrere Lichtquellen erzeugen räumliche Tiefe und einen spannungsvollen Hell-Dunkel-Kontrast von dramatischer Intensität. Die Bilder sind in einen Vorder-, Mittel und Hintergrund aufgeteilt. Die Protagonisten geben sich natürlich und gelassen, sind aber meistens in Aktion. Oft halten sie ein Requisit in den Händen. Für zusätzliche Dynamik sorgt die Stellung des Protagonisten im Kontrapost, das heißt der Wechsel zwischen Stand- und Spielbein.
Dieser barocken Bildsprache hat die Dresdner Bank gewissermaßen ein modernes Gewand verliehen und damit einen einzigartigen und reproduzierbaren Stil geschaffen. Er prägt den Markenauftritt der Beraterbank auf Werbebroschüren, und ist unabhängig vom Produkt, Segment oder Sujet einsetzbar.
Man mag uns vorwerfen, wir seien Epigonen und Kopisten. Zugegeben… Und bezweifeln, dass durch Nachahmung einer Konstruktionsmechanik Einzigartigkeit, also Differenzierung bis hin zur Originalität, entstehen könne. Ebenfalls zugegeben. Aber dieses Widerspruchs sind wir uns bewusst. Er hat sich schon vor gut 250 Jahren als äußerst fruchtbar erweisen, als ein Bibliothekar aus dem sächsischen Stendal bemerkte: „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten“.