Hans-Ulrich Cyriax zu Veränderungen im Beratungsmarkt und das Kompetenzgerangel in der Marketingberatung
Die Fachzeitschrift HORIZONT widmet sich in der Februar-Ausgabe vom 21.02.2013 den Veränderungen im Beratermarkt. Sie konstatiert, dass die Consultingbranche ihre Aktivitäten im Marketing intensiviert. Nach seinen Einschätzungen sowie zum Vergleich von Beratungsunternehmen und Agenturen befragte HORIZONT Hans-Ulrich Cyriax.
1) Warum versuchen Unternehmensberatungen jetzt wieder mit dem Thema Marketing bei Unternehmen zu punkten? Was spricht für die These?
Cyriax: Dafür sprechen aus meiner Sicht vier Tendenzen:
Erstens: Unternehmensberatungen müssen innovativer werden. Aktuell sind die Zeiten von Kostensenkung und Prozesseffizienz erstmal wieder vorbei. Diese Hausaufgaben haben viele Unternehmen mit Hilfe der großen Strategieberatungen in der Rezession gemacht. Nun brauchen Unternehmen wieder Visionen, neues Denken und Innovationen. Deshalb konzentrieren sich die Beratungshäuser auch wieder stärker auf innovative Felder. Dazu gehört Marketing.
Zweitens: Unternehmensberatungen versuchen, Ihre Werkbänke zu verlängern. Klassische Strategieberatungen holt man sich bei großen, langwierigen Umsetzungsprojekten, zum Beispiel der Integration nach einer Fusion. Nach der Strategiephase werden die teuren Berater jedoch häufig ausgetauscht. Über innovative Lösungen und eine veränderte Schwerpunktsetzung bei Spezialthemen, wie zum Beispiel im Marketing, wollen sie nun auch möglichst bis zum Ende mitverdienen.
Drittens: Unternehmensberatungen entdecken die Digitalisierung. Durch die Digitalisierung nimmt die Komplexität von Kommunikation und Marketing entscheidend zu. Vielen Unternehmen fehlt heute ein klares Verständnis, welchen Wertbeitrag einzelne Kommunikationskanäle liefern. Diese Defizite haben die Marketingexperten der Strategiehäuser erkannt und entwickeln dafür neue Beratungsansätze. So professionalisieren sie auch ihr eigenes Profil.
Viertens: Spezialisierte Mittelstandsberatungen greifen die Platzhirsche an. Beratungsfirmen, die sich auf Fachbereiche wie Marketing, Einkauf oder Controlling konzentrieren, machen den Platzhirschen McKinsey, Boston, Berger, A.T.Kearney, Booz und Bain & Co das Geschäft zunehmend streitig. Im Kompetenzvergleich mit den großen Beratungshäusern behaupten sich bei Marketing- und Vertriebsthemen zunehmend die Berater etwa von Simon Kucher, Homburg & Partner oder Batten & Company. Grund genug für die Marktführer, bei diesen Themen „aufzurüsten“ – das geht nur über Innovationen.
2) Was könnte ein CMO bewegen, seine Marketingstrategie, seine Marketingprozesse, vielleicht auch die Aufstellung des gesamten Marketings mit Unternehmensberatern zu entwickeln bzw. neu zu organisieren und nicht mit seiner Agentur?
Häufig ist es sinnvoll, mit den Strategieberatern, die an der Geschäftsstrategie arbeiten, die Prozesse und Strukturen gesamthaft unter die Lupe nehmen, auch über die Marketingstrategie und deren Umsetzung zu sprechen. Mit denen lässt sich meist kompetenter, effizienter und effektiver als mit jeder Agentur entwickeln, wie zum Beispiel das Marketing nachhaltiges, profitables Wachstum unterstützen kann oder wie eine an kaufentscheidenden Faktoren orientierte Marktsegmentierung strukturiert sein kann. Die Kompetenzvermutung bei Themen wie Channel Management, Customer Relationship Management, Pricing, Customer Lifecycle Management bis hin zum Marketing ROI liegt aus meiner Sicht eindeutig bei den Unternehmensberatern.
3) Was ist für Unternehmensleute attraktiver – kreative Unternehmensberater (Agenturen) oder eben Berater, die Marketing können?
Bei der Auswahl des passenden Beratungspartners für ein Marketingprojekt ist aus meiner Sicht neben fachlicher Kompetenz und Erfahrung, vor allem die soziale Kompetenz des Beraters ein wichtiger Entscheidungsfaktor. In großen Projekten wird bis tief in die Nacht intensiv zusammengearbeitet, da muss es auch menschlich passen. Die Qualität und Attraktivität einer Beratung hängt aber auch im Marketing davon ab, wie der Berater es versteht, zunächst überhaupt das Problem zu verstehen. Die Kunst zuzuhören und Fragen zu stellen, wird selten optimal beherrscht, egal ob bei Agentur – oder Strategieberatern. Viel zu schnell werden die Schubladen mit vorkonfektionierten Lösungsmodellen aufgemacht. Häufig wird Beratern aus Agenturen pauschal mehr Kreativität zugesprochen. Das ist meiner Ansicht mitnichten der Fall. Kreativität äußert sich nämlich auch in der Fähigkeit zur konstruktiven Kritik, in dem etwa das Briefing und die Aufgabe begründet in Frage gestellt werden. Bei McKinsey heißt das „obligation to dissent“ – die Berater werden zum Widerspruch verpflichtet. Wenn es jedoch zu Fragestellungen kommt, bei denen stärker visuelle, gestalterische oder kommunikative Kompetenzen gefragt werden, sind die Agenturberater im Vorteil. Durch ihre interdisziplinäre Aufstellung von Strategen und Kreativen als Tandem können Agenturen mit Lösungen punkten, die auf ganz anderen Wahrnehmungsebenen stattfinden.
4) Stellen Sie in Ihrer täglichen Arbeit fest, dass die Berater das Thema Marketing stärker bearbeiten?
Ich stelle fest, dass Marketingprofis großer Strategieberatungen mittlerweile Schlüsselpositionen im Marketing großer Unternehmen besetzen. Mit diesen Profis zusammen zu arbeiten, ist für mich stets von Vorteil. Sie denken häufig stärker noch als Agenturberater vom Markt und beziehen die strategische Geschäftsperspektive durchdachter mit ein. In der Regel sind sie pragmatischer, weitsichtiger, quer denkender und haben auch weniger Star – Allüren und Tendenzen zur Selbstbeweihräucherung als ihre Kollegen aus den Agenturen.
5) In Ihrer Zeit bei der Dresdner Bank – haben da klassische Unternehmensberater im Marketing eine Rolle gespielt?
Klassische Unternehmensberater waren permanente Begleiter der Beraterbank. Man nannte uns in Beraterkreisen „die grüne Hölle“! Als Leiter des Strategischen Marketings hatte ich persönlich u.a. intensive Marketingprojekte mit McKinsey. Dabei ging es etwa um die Etablierung eines neuen Direktbankangebots. Da haben die Berater einen aufreibenden und exzellenten Job gemacht. Neben der Konzeption einer neuen Kanalarchitektur ging es auch darum, den Marketingmix zu optimieren, die Kundengewinnung anzukurbeln, den Kundenwert nachhaltig zu steigern. Das hätten wir mit einem Agenturberater so nicht hinbekommen. Zudem war McKinsey nach der Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank im Post Merger-Process mit an Bord, als die gelbe und grüne Marketingwelt integriert wurden und wir ein ganzheitliches Markenmanagement aufbauen wollten. Keine einfache Aufgabe, zumindest in Bezug auf die Moderationsfähigkeiten der Berater.
Die Fragen beantwortet: Hans-Ulrich Cyriax, Geschäftsführender Partner der Cyriax Strategie- und Markenberatung. Cyriax ist ausgewiesener Markenexperte, Organisationsentwickler und Coach. Er berät internationale und mittelständische Konzerne, war mehr als zehn Jahre Executive Consultant renommierter Markenberatungen sowie Leiter des Strategischen Marketings der Dresdner Bank.