Januar 2014 – Es ist noch gar nicht so lange her, da war das Kaufverhalten von den Präferenzen der Kunden bestimmt. Um von A nach B zu kommen fuhr man entweder mit dem Auto oder man nutzte die Bahn. Kleidung kaufte man entweder im Kaufhaus oder man schätzte die Beratung im Einzelhandel. Das „Entweder-Oder-Verhalten“ der Kunden ist Geschichte. Durch die zunehmende Technisierung und Digitalisierung der Ökonomie, die Vernetzung unterschiedlicher Kommunikationskanäle und das globale Zusammenwachsen einstmals getrennter Lebenswelten, haben sich die Wahlmöglichkeiten für Kunden ins Unermessliche gesteigert. Der „Sowohl-als-auch-Kunde“ ist heute Realität. Mit Car-Sharing-Angeboten wie car2go oder DriveNow nutzen Kunden in Großstädten heute sowohl das Auto als auch die Bahn. Kaufhäuser beherbergen heute auch Einzelhandelsmarken unter ihrem Dach und verkaufen sowohl günstige Massenware als auch individuelle Luxusartikel.
Der Schweizer Soziologe Peter Gross bezeichnete diese Entwicklung bereits 1994 als „Multioptionsgesellschaft“. Seine These ist heute aktueller denn je. Kunden können heute aus unzähligen Möglichkeiten frei auswählen. Ihr Verhalten ist dadurch unberechenbar. Im Hinterkopf gibt es immer Plan B. Sie sind wechselhaft und entscheiden hybrid. Durch die enorme Vermehrung digitaler Informationsangebote ist der hybride Kunde aufgeklärt und autonom. Seine Treue zu Marken, Händlern oder Standorten schwindet. Er ist weder nur leistungsorientiert, nur preissensibel oder nur serviceorientiert. Der hybride Kunde ist alles, immer, zugleich und überall. Aktuelle Studien verweisen darauf, dass sich Menschen dadurch vermehrt in ihr häusliches Privatleben zurückziehen. Sie verlagern ihre Lebens-, Arbeits- und Einkaufsgewohnheiten in die eigenen vier Wände. Der Trend heißt „Cocooning“ – das Internet machts möglich. Aus Bequemlichkeit werden Tickets nicht wie früher am Ticketschalter gekauft sondern online übers Internet. Ob Lebensmittel, Bücher, Autos, Bank- oder Versicherungsprodukte – heutzutage ist (fast) alles Online zu haben.
Diese neue Welt stellt Unternehmen vor einen Paradigmenwechsel. Der Buchmarkt, wie wir ihn kennen, wird in wenigen Jahren nicht mehr existieren. Immer mehr Buchhändler werden verschwinden, immer mehr Bücher werden online gelesen, die Beratung wandert ins Internet. Ähnlich wird es Banken und Versicherungen ergehen. Zunächst wird die hohe Filialdichte verschwinden. Die HypoVereinsbank spielt bereits mit dem Gedanken, die Hälfte ihrer knapp 600 Filialen zu schließen. Der einstmalige Wettbewerbsvorteil „Nähe zum Kunden vor Ort“ ist zum Klotz am Bein geworden. Egal ob Bank, Versicherung oder Energieversorger – auch bei Dienstleistungsunternehmen verlagert sich die Wertschöpfungskette und damit das Markenerlebnis zunehmend vom Filial- auf den Digitalkanal.
Die Auswirkungen des Hybridzeitalters mit der Ausweitung der Distributionskanäle werden von Unternehmen derzeit vor allem aus technischer und vertrieblicher Perspektive betrachtet. Wenn künftig jedoch verstärkt Beratung auch im Internet stattfindet, wenn der Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen über stationäre sowie nichtstationäre Vertriebskanäle funktioniert, sind ein gezieltes Multi Channel Management kombiniert mit Customer Experience Management unumgänglich. Die Herausforderung: Dem Kunden seine Waren und Dienstleistungen über den für ihn unkompliziertesten Weg anbieten und ihm gleichzeitig an jedem Kontaktpunkt ein für ihn relevantes Markenerlebnis bieten. Dafür müssen Vertriebs- und Markenstrategie stärker zusammenwachsen. Gleichzeitig müssen Unternehmen stärker auf Tuchfühlung mit ihren Kunden gehen und die Berührungspunkte ihres Unternehmens genau untersuchen. Welches Leistungsversprechen und welches Markenerlebnis bieten sie an welchem Kontaktpunkt? Wie adressieren sie die Bedürfnisse und Gewohnheiten ihrer Zielgruppen dort? Was sind die relevantesten Kontaktpunkte und welche Innovationen können die Wertschöpfung erhöhen? Die Antworten auf diese Fragen werden die tradierten Geschäftsmodelle verändern und über die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen entscheiden.
Hans-Ulrich Cyriax ist Geschäftsführender Partner der Cyriax Strategie- und Markenberatung (www.cyriax-brandconsulting.com). Er ist ausgewiesener Markenexperte, Organisationsentwickler und Coach und hat Erfahrungen aus fast 20 Jahren Praxis. Cyriax, war Executive Consultant bei renommierten internationalen Beratungsunternehmen sowie Leiter des Strategischen Marketings der Dresdner Bank.
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Der Beitrag wurde veröffentlicht in „Informativ. Zeitschrift für Partner von BNP Paribas Cardif Deutschland“ Ausgabe 01/14 |