Weltweit erbringen heute 5500 Automobilzuliefer eine Wertschöpfung von rund 417 Milliarden Euro. Ihre Bedeutung wird zunehmen, denn besonders die Massenmarken unter den Fahrzeugherstellern werden sich zukünftig noch stärker auf ihre Kernkompetenzen – die Produktion besonders wichtiger Bauteile, Markenpflege und Vertrieb – konzentrieren und bis zu einem Drittel der Produktion an Zulieferer auslagern. Bereits heute entwickeln und fertigen sie nur noch 35% ihrer Autos selbst.
Von Hans-Ulrich Cyriax, Dr. Klaus Schmidt, erschienen in „Marketing Journal“, 2006
Nach einer Studie der Unternehmensberatung Mercer und des Frauenhofer-Instituts sollen Zulieferer bis 2015 etwa 80 Prozent der Entwicklung und Produktion für die Hersteller übernehmen. Unternehmen wie Magna Steyr verfügen bereits heute über eine Gesamtfahrzeugkompetenz und bieten das komplette Prozess-Spektrum der Automobilindustrie an – von der Entwicklung zur Produktion, vom Konzept bis zum fertigen Fahrzeug.
Markenentwicklung als Teil der Überlebensstrategie
Doch die Zulieferbranche befindet sich seit einigen Jahren in einer Konsolidierungsphase. Experten schätzen, dass sich die Anzahl der Zulieferunternehmen bis zum Jahr 2015 halbieren werde. Vor allem die kleinen, mittelständischen Firmen können die Produktion größerer Komponenten oder ganzer Modellreihen nicht allein stemmen. Für immer mehr von ihnen stellt sich die Frage: Wachstum und überlebensfähige Größe durch Zukäufe erreichen – das eigene Unternehmen in strategische Partnerschaften einbringen oder gar verkaufen, um dessen Zukunft zu sichern? Letztlich wird die hohe Intensität von Mergers&Acquisitions in der Automobilzulieferbranche dazu führen, dass nur die Unternehmen am Markt überleben, die nicht nur Initiativen für größere Kosteneffizienz und Innovationsführerschaft ergreifen, sondern auch in die Entwicklung ihrer Marke investieren. Denn Qualitätsversprechen und Produktinnovationen reichen heute nicht mehr aus, um sich langfristig erfolgreich im Wettbewerb zu positionieren. In Zukunft wird es immer stärker darauf ankommen, profilierte Marken aufzubauen und die Kunden auch stärker emotional zu binden.
Führungsanspruch durch Markenführung
Die Bereitschaft, in die Entwicklung ihrer Marke zu investieren, ist auf Seiten der Zulieferer noch immer gering. Nur jedes vierte deutsche Zulieferunternehmen betreibt eine konsequente Markenpflege. Häufigste Argumente: Auftragsentscheidungen von Automobilherstellern folgen meist einer rationalen Kennziffernlogik. Die Zahl der Kunden im Zuliefergeschäft ist – im Gegensatz zur Konsumgüterindustrie – überschaubar. Zudem sind Geschäftsbeziehungen im Business-to-Business Bereich (B2B) längerfristig angelegt. Aus Sicht von Dr. Siegfried Goll, Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG, einem der weltweit führenden Automobilzulieferkonzerne in der Antriebs- und Fahrwerktechnik, greifen diese Argumente zu kurz: „Gerade Zulieferunternehmen, die Markt- und Technologieführer sind, müssen auch auf dem Gebiet der Markenpolitik ihren Führungsanspruch legitimieren. Die Marke wird daher in Zukunft auch im B2B-Geschäft zu einem der entscheidenden Erfolgsfaktoren avancieren.“ Als Folge verlagert sich der Managementfokus von den physischen Markenattributen deutlich zugunsten immaterieller Bestandteile des Markenwertes. Weiche Faktoren wie die Markenaffinitäten der Entscheider, so Dr. Siegfried Goll, würden zukünftig stärker den Ausschalg für oder gegen einen Anbieter geben.
Endkunden bevorzugen starke Zuliefermarken
Auch auf Seiten der Endkunden spielt die Marke der Zulieferer eine immer größere Rolle. Eine Studie der Unternehmensberatung Accenture kommt zu dem Ergebnis, das heute jeder dritte Kunde seine Kaufentscheidung für oder gegen ein neues Auto aufgrund der Herkunft von Teilen der Zulieferindustrie trifft. Die richtigen Markennamen beispielsweise für Bremsen, Motor oder Lenksystem werden zum Garant für Sicherheit, Komfort und ein optimales Preis-Leistungsverhältnis. „Der Kunde ist durchaus bereit, für eine Premiummarke mehr zu bezahlen” behauptet Arndt Kirchhoff, Vorsitzender des Mittlestandsausschusses (VdA) im Handelsblatt. Davon profitierten selbst die Autobauer, glaubt er: „Ein Premiumhersteller wolle ja damit angeben, dass er in seinen Fahrzeugen ‘Erste-Klasse-Komponenten’ verwendet.“
Die Zukunft der Zulieferer besteht in der strategischen Weiterentwicklung vom Produkt- zum innovativen Systemlieferanten mit eigener Markenstrategie und direktem Kundenkontakt. Denn auch im Business-to-Consumer geprägten Ersatzteilegeschäft gewinnt die Zuliefermarke an Bedeutung. Bisher haben viele Automobilhersteller die Ersatzteile von Zulieferern herstellen lassen und sie anschließend als sogenannte „Originalteile“ verkauft. Zukünftig könnten Zuliefer ihre eigene Marke auch im Ersatzteilegeschäft profilieren und sich von der Macht der Hersteller emanzipieren. Markenentwicklung und Markenpflege – traditionelle Kernkompetenzen der Hersteller – würden so für Zulieferer zur zentralen Aufgabe. Doch noch immer ist die Auffassung weit verbreitet, dass mit der Markenpflege vornehmlich Werbung gemeint sei.
Ganzheitliche Markenführung als Zukunftsstrategie
Im Rahmen der strategischen Markenführung kommt es für Automobilzulieferer vielmehr darauf an, Markenvertrauen und letztlich Markenzufriedenheit im Bewusstsein von Herstellern und Endkunden aufzubauen. Dafür sind aus einer ganzheitlichen Perspektive sechs Dimensionen entscheidend:
- Qualität, Innovationsgrad und Eigenständigkeit von Produkten und Dienstleistungen
- Differenzierung des Unternehmens und seiner Angebote gegenüber Wettbewerbern im Markt sowie Identifizierung und Orientierung gegenüber den Kunden
- Strategische Kommunikation von Themen und Botschaften gegenüber allen relevanten Zielgruppen
- Entwicklung eines eigenständigen visuellen Profils, Faszination, Inspiration, emotionale Bindung über Design
- Überzeugende Führung und Qualifikation der Mitarbeiter, Auftreten des Managements durch entsprechende Verhaltensleitlinien
- Etablierung einer spezifischen Kultur, die nach innen motiviert und Leistungsbereitschaft freisetzt sowie nach außen gesellschaftliche und soziale Verantwortung vermittelt
Bei der Entwicklung und Führung von Marken kommt es darauf an, alle kritischen Erfolgsfaktoren ganzheitlich und konsequent einzubeziehen: Produkte und Services, Märkte und Kunden, Kommunikation, Design, Kultur und Verhalten. Für die Steuerung von Marken ist es notwendig, ihre Identität zu definieren und die Aspekte zu benennen, die ihren Charakter ausmachen. Mit der Positionierung lässt sich genau das leisten: Definiert werden die Vision, also das Ziel, die Mission als der spezifische Weg zur Zielerreichung sowie handlungsleitende Werte, die der Zielerreichung zu Grunde gelegt werden. Differenzierungsfaktoren bilden den Kern der Positionierung. Dabei lässt sich nach rationalen und emotionalen Differenzierungsaspekten unterscheiden. Sie bilden die Substanz und den Ausdruck der Marke, aus denen sich der Kundennutzen und das Leistungsversprechen ableiten lassen.
Mittelständische Zulieferer mit Nachholbedarf
Nur wenige der 200 deutschen Automobilzulieferer – wie beispielsweise Robert Bosch, Continental oder ZF Friedrichshafen – stellen das Thema Markenführung heute schon in den Kontext ihrer Unternehmensstrategie. Viele Unternehmen entdecken erst die strategische Relevanz der Marke. Etwa der französische Automobilzulieferer Valeo, dessen Scheinwerfer im Porsche Cayenne eingesetzt werden. Doch vor allem kleinere und mittlere Unternehmen winken beim Thema Markenführung meist aus Kostengründen ab. Dabei haben sie es oft einfacher, die Chancen einer Markenpositionierung zu nutzen. Ihre Entscheidungswege sind vergleichsweise kurz, zudem wissen mittelständische Unternehmen oft genau, wo ihre speziellen Stärken und Schwächen liegen. Gerade sie sollten nicht die Chance verpassen, sich durch einen einheitlichen und strategisch-schlüssigen Auftritt nach innen und außen darzustellen, Orientierung zu bieten und sich einen Wettbewerbsvorsprung zu sichern.
Strategische Vorteile durch Ingredientbranding
Entscheidend ist dabei, mit welcher Markenstrategie die Marken entwickelt werden. Während Zulieferer ihre Marketingmaßnahmen in der Vergangenheit vorwiegend auf den direkten Abnehmer bzw. Weiterverarbeiter konzentrierten, rücken heute Absatzmittler, Anwender und Verbraucher in den nachgelagerten Prozessstufen mehr in den Fokus. Eine Möglichkeit, diese Zielgruppen stärker anzusprechen, bietet das Ingredientbranding einzelner Produktkomponenten. Solche Komponenten sind meist ein wesentlicher Bestandteil des Endproduktes, bleiben für den Kunden allerdings meist unsichtbar. Prominente Beispiele für gelungenes Ingredientbranding sind Intel inside oder GoreTex. Die herausragenden Produkteigenschaften des Textillaminates GoreTex etwa, waren bei Verkäufern und Käufern früher weitesgehend unbekannt. Ein Preispremium ließ sich nicht durchsetzen. Erst als sich GoreTex entschloss, über die Köpfe der Konfektionäre und des Fachhandels hinweg direkt mit den Käufern in Kontakt zu treten, wurden die Funktionsvorteile „wasserdicht, windicht, atmungsaktiv“ vermittelt. Heute ist die Marke GoreTex etabliert und erzielt im Vergleich zu Wettbewerbern einen Mehrpreis von rund 20 Prozent. Auch im Automobilsektor gibt es Beispiele für erfolgreiches Ingredientbranding, etwa bei VDO Armaturen, Autoradios von Blaupunkt oder Autositzen von Recaro. Doch gibt es auch Beispiele, bei denen Chancen verpasst wurden. Bosch entwickelte beispielsweise zusammen mit Mercedes-Benz das elektronische Stabilisierungsprogramm ESP – doch nur wenige Kunden bringen die Marke Bosch in direkten Zusammenhang zu diesem innovativen Produkt.
Ingredientbranding kann einen Nachfragesog schaffen. Je besser es gelingt, einen Markenanker für die überlegene Leistung einer Produktkomponente bei den Endkunden zu etablieren, um so eher werden Kunden diese auch nachfragen. Voraussetzung dafür ist es, über die Positionierung zu definieren, wo der Mehrwert liegt und welches Leistungsversprechen mit dem Produkt verbunden ist. Deshalb sollten Zulieferunternehmen prüfen, welche Bauteile bzw. Baugruppen aus Käufersicht besonders relevant sind und wie das Endprodukt in der Wahrnehmung davon profitieren kann.
Der Aufbau einer Marke – speziell für Zulieferer – braucht Zeit und sollte als langfristiges Investment betrachtet werden. Im Ergebnis profitieren sowohl Zulieferer als auch Hersteller von ihren jeweils starken Marken: Die Markenstrategien der Hersteller entscheiden über Relevanz, Sympathie und Vertrauen. Die Marken der Zulieferer werten das Endprodukt auf und steuern rationale Kaufargumente bei. Sie garantieren gleich bleibende Qualität und Verfügbarkeit und sorgen so für Unterscheidbarkeit, Orientierung und Identifikation.