Mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie wird Führung in der Wirtschaft zur Tugend der Stunde. Doch selten sind Führungskräfte so an ihre Grenzen gestoßen, wie derzeit. Sie sind es nicht gewohnt und haben es nicht gelernt, durch unsichere Gewässer zu navigieren. Eben nicht alles im Griff zu haben. Jahrelang haben sich viele Führungskräfte vor allem der oberen Etagen eher durchgewurschtelt. Sie haben die größten Banken des Landes strategielos an die Wand gefahren, Dieselmotoren manipuliert, die Digitalisierung verschlafen, milliardenschwere Fehlentscheidungen getroffen. Führung sieht anders aus.
Klar ist: die Zukunft hat bereits begonnen. Wir sind mittendrin. Und die Corona-Pandemie beschleunigt die (digitale) Transformation. Es geht um Innovationen, um wettbewerbsfähige Produkte und Lösungen. Um mehr Effizienz und Flexibilität durch digitalisierte Prozesse, vereinfachte Strukturen und agile Formen organisationaler Zusammenarbeit. Es geht um eine stärkere Fokussierung auf Kerngeschäfte und deren konsequente Profitabilisierung. Diese Veränderungen gehen einher mit einem strukturellen Umbau der Arbeitsgesellschaft, bei dem Arbeitsplätze verschwinden, neue entstehen. Und sie verändern zugleich dramatisch die Anforderungen an Führung.
Führungsrollen zwischen General und Seelsorger
Gefragt ist in diesen Zeiten nichts weniger als ein neues Verständnis von Führung. Ein Modell, dass Unwägbarkeiten berücksichtigt, Loslassen erlaubt, Resilienz ermöglicht, Paradoxes toleriert und dennoch eine klare Richtung vorgibt. Führungskräfte sind einerseits gefordert, radikal und konsequent zu sein. Sie müssen Aufträge klar formulieren, kluge, notwendige und vielfach unpopuläre Entscheidungen treffen. Andererseits ist es notwendig, dass sie souverän und persönlich für Orientierung sorgen. Ihr Führungsverständnis muss fachliche, soziale und zeitliche Dimensionen gleichermaßen balancieren. Ihr Verhalten muss zwischen sich eigentlich ausschließenden Rollen balancieren: Zwischen General und Seelsorger, Kapitän und Coach, Manager und Trainer. Geht das?
Gewohnheiten von Führung verändern
Die Transformation von Führung geht einher mit einer Transformation der Führungspersönlichkeit: Menschen manifestieren durch ihr Handeln zeitlich überdauernde Muster mit Merkmalen des Temperaments, des Gefühlslebens, des Intellekts und der Art zu handeln, zu kommunizieren und sich zu bewegen. Zur Persönlichkeit gehören insbesondere Gewohnheiten, wie wir uns „normalerweise“ verhalten. Diese Gewohnheiten, die früher zu Erfolg führten, werden durch anhaltende Transformation und Krisenphänomene auf den Prüfstand gestellt und oft als nicht länger angemessen entlarvt.
Die Gewohnheiten von Führung zu verändern, ist ein ambitioniertes Vorhaben. Ein Wandel, bei dem es ans „Eingemachte“ geht und für den es keinen Königsweg gibt. Denn Manager pflegen die ausgetretenen Trampelpfade, auf denen sie bisher durch ihr Führungsleben gekommen sind. Die kulturellen Führungsmuster vornehmlich deutscher Unternehmen sind geprägt von hierarchischen, oftmals wenig selbstbestimmten Entscheidungsstrukturen. Viel zu oft zählt in den Chefetagen nicht die beste Idee, sondern die Hierarchie. Viele Manager sind nach wie vor (unbewusst) davon überzeugt, besser nicht, als falsch zu entscheiden. Die Angst vor Fehlern sitzt tief. Auch wenn sich viele Unternehmen heutzutage einen „Agile-New-Work-Anstrich“ verpassen – die Realität sieht meist immer noch anderes aus. Kommunikationsversagen und Intransparenz, Verantwortungsdelegation, Machtspiele, Harmoniestreben und Konsenskultur sind nur einige Stichworte. Wie kann die Transformation von Führung gelingen? Drei Aspekte erscheinen bedeutsam:
1) Sinn: Den Daseinszweck neu ausloten
Mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie wird die Sinnfrage für Unternehmen und ihre Manager*innen virulenter denn je. Denn vermeintliche Wahrheiten von gestern gelten nicht mehr. Führungskräfte sind gefordert, die Grundfragen ihres unternehmerischen Selbstverständnisses neu zu beantworten: Wer sind wir – wofür stehen wir – was sind die Gründe für unser Tun? Die Entdeckungsreise zum unverwechselbaren Sinn-Kern ist ein Such- und Findungsprozess. Er führt über Selbstreflexion und die Neudefinition der eigenen Rolle im sich wandelnden Umfeld.
2.) Selbstwirksamkeit: Die Eigenverantwortung stärken
In Zeiten, in denen nicht alle Eventualitäten geplant werden können und das Umfeld sich ständig verändert, ist es wichtig, die Entschlusskraft von Mitarbeiter*innen zu stärken. Dafür müssen notwendige Freiräume geschaffen und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten gestärkt werden. Führungskräfte erreichen das, indem sie ihre Mitarbeiter ermutigen, inspirieren und Erfolgserlebnisse schaffen. Denn Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung zeigen trotz einzelner Rückschläge eine höhere Frustrationstoleranz und sind effizienter. Mehr noch: Die erfolgreiche Bewältigung einer schwierigen Situation stärkt den Glauben an die eigenen Fähigkeiten und wirkt sich nachweislich positiv auf die intrinsische Motivation aus.
3.) Resilienz: Robust sein und eine optimistische Grundhaltung vermitteln
Häufig ist Stress in Unternehmen hausgemacht: Zu viele (sinnlose) Meetings und Termine, überzogene Erwartungen, Null-Fehler-Toleranz, unnötige Konflikte – alles das erzeugt Überhitzungen, Hetze, Kopflosigkeit. Viele Manager*innen sind allein deshalb gestresst. Dabei sollten sie Vorbilder sein, die dafür sorgen, dass Stress im System vermieden wird. Das Zauberwort heißt Resilienz. Gemeint sind die Fähigkeiten, mit widrigen Umständen gut und angemessen umzugehen und psychisch gesund zu bleiben. Resilienz resultiert aus Stressoptimierung und korreliert mit relativ feststehenden Persönlichkeitsmerkmalen, wie etwa einem positiven, zugewandten Temperament, guten kommunikativen Fähigkeiten, Impulskontrolle oder einem positiven Selbstbild.
Resiliente Führung entsteht durch Selbstwirksamkeit und Optimismus. Wenn Manger es schaffen, anstehende Veränderungen von ihrer positiven Seite zu betrachten und eine zuversichtliche Grundhaltung einnehmen. Wenn sie an ihre eigenen Fähigkeiten und die ihrer Mitarbeiter glauben und diese gezielt weiterentwickeln. Resiliente Führung ermöglicht es ihnen, als Vorbilder aufzutreten, die gerade in schwierigen Zeiten gebraucht werden.