Lernexpeditionen bieten Mitarbeitern die Möglichkeit, fremde Betriebssysteme kennenzulernen und sich in einem andersartigen Kontext inspirieren zu lassen. Als reflektierende Beobachter treten sie in Kontakt mit interessanten Unternehmenspartnern und gewinnen einen veränderten Blick auf ihr eigenes Handeln und die Dynamiken in anderen Kontexten.
Angesagt sind in jüngster Zeit vor allem Besuche dynamischer Start-up-Unternehmen. Erfahrene Manager pilgern vornehmlich zu den Hotspots der Gründerszene nach Berlin, fliegen nach Tel Aviv oder ins Silicon Valley. Die Erfahrungen, die bei diesen „Abenteuer-Reisen“ unvermeidlich gesammelt werden, sind nützlich und wertvoll. Ihre Übertragung auf den Change im eigenen Unternehmen ist jedoch meist eher begrenzt. Zu unterschiedlich sind Kontexte und Rahmenbedingungen, zu eingeschliffen oftmals die kulturellen Muster und Verhaltensweisen der eigenen Kollegen. Frei nach dem Motto – alles gut und schön, aber bei uns ist es ganz anders.
Um dennoch über eine Lernexpedition Impulse für Veränderungen zu gewinnen, lohnt der Besuch bei etablierten Konzernen im Veränderungsmodus. Mitarbeiter erleben dort, wie in gewachsenen Strukturen Keimzellen für agiles Arbeiten entstehen, wie hierarchiefreies Zusammenarbeiten in Open-Space-Büros funktioniert. Wie beispielsweise bei der Otto Group oder Philips, die wir im Rahmen aktueller Change-Projekte während einer Lernexpedition besucht haben.
Handelskonzern Otto – Weichen stellen für die digitale Transformation
Otto – die Marke kennt fast jeder in Deutschland. Was wenige wissen: Der weltweit aufgestellte Handels- und Dienstleistungskonzern vereint unter seinem Dach 123 Einzelunternehmen mit unzähligen Marken und mittlerweile vielfältigen Geschäftsmodellen im stationären und onlinegetriebenen Handel. Die Gruppe muss sich im harten Wettbewerb beweisen und startete deshalb vor 1,5 Jahren einen unternehmensweiten Veränderungsprozess. Ziel war es, die Schlagkraft des Konzerns zu verbessern sowie die kulturellen Weichen für die digitale Transformation zu stellen.
Jürgen Bock, verantwortlich für den Bereich Unternehmenskultur und Corporate Values bei der Otto Group, berichtete während der Lernexpedition anschaulich, was sich bereits positiv verändert habe. Ausgangspunkt sei die Überzeugung und das Bewusstsein der Konzernleitung gewesen, dass die Unternehmen der Otto Gruppe weiterhin nur erfolgreich sein würden, wenn sie innovativer, flexibler und schneller arbeiteten. Ziel: An Schlagkraft gewinnen und Unternehmen wie Amazon, Zalando & Co. die Stirn bieten. Essentiell dafür sei ein Kulturwandel, über den Mitarbeiter selbstverantwortlich arbeiten können und schnellere Entscheidungen möglich würden. Zudem gehe es darum, so Jürgen Bock, die Identifikation mit der Unternehmensgruppe und das Vertrauen der mehr als 56.000 Mitarbeiter zu stärken. Um den Prozess zielgerichtet zu starten, stand am Anfang die Frage: Wie heißt das Problem, für das die angestrebte Kultur die Lösung ist? Im Change-Prozess der Otto Group passierte der Wandel „von unten nach oben“. Man setze dabei vor allem auf Führungskräfte, die die neuen Werte authentisch vorlebten, so Jürgen Bock. Deren Aufgabe liege vor allem darin, die Kernkompetenzen ihrer Mitarbeiter zu erkennen und ihnen die Freiräume einzuräumen, um wachsen zu können.
Treiber im Prozess war eine konzernweite Arbeitsgruppe, deren Auswahl aufgrund von Kompetenzen anstatt hierarchischer Kriterien erfolgte. Wichtig sei dabei, dass man die Menschen und ihre Anliegen höre und sich ein Wir-Gefühl einstelle. „Kulturwandel kommt über Gefühle. Das ‚Wie’ und nicht das ‚Was’ ist entscheidend“, so Bock. Aus diesem Verständnis heraus hat die Otto Group beispielsweise auch die so genannte Kommunikationskaskade abgeschafft. Alle Mitarbeiter würden fortan zeitgleich informiert, statt wie früher zunächst nur die Führungskräfte mit Neuigkeiten zu versorgen. Jeder Mitarbeiter sei dazu aufgefordert, sich und seine Ideen einzubringen, selbst Praktikanten erhielten ein offenes Ohr beim Vorstand. Etabliert wurden neue Formate, wie „FuckUp-Nights“ oder die Veranstaltungsreihe „Culture Club“. Was Jürgen Bock während der Lernexpedition immer wieder betont, ist die emotionale Ansprache. Storytelling sei essentiell, um den Wandel nicht nur im Kopf, sondern auch emotional zu verankern.
Philips erzählt eine andere Story und setzt auf innovative Arbeitswelten
Dieser Meinung ist auch Sebastian Lindemann, Head of Communication bei Philips in Hamburg. Sein Arbeitgeber durchläuft derzeit ebenfalls einen Veränderungsprozess. Ausgangspunkt war der Umzug in ein neues Headquarter, strategische Veränderungen und auch eine neue Unternehmensgeschichte. Mit der aktuellen Corporate Story steht Philips nicht mehr für Radio und Fernsehen. Philips steht für Gesundheit. Treiber im Wandel des Unternehmens wurde der Umzug in neue Büros. Ansprechende Gemeinschaftsflächen, ein Innovations-Lab sowie flexible Arbeitsbedingungen ebneten bei Philips in Hamburg den Weg in eine neue Zukunft. Lindemann sieht dabei jeden Mitarbeiter als potenziellen Multiplikator, um die Story von Philips nach außen zu tragen. Ein Erfolgsfaktor sei die Mischung aus Hol- und Bringschuld. Mitarbeiter bekämen die Chance zu gestalten, müssten sich jedoch auch selbstverantwortlich engagieren.
Ob bei der Otto Group oder Philips – in beiden Unternehmen ist die Transformation ein Prozess und kein Projekt. Jürgen Bock betont: „Change ist niemals abgeschlossen“. Unternehmen und Menschen sollten in der Lage sein, sich selbstverantwortlich anzupassen und weiterzuentwickeln. Nur dadurch könne ein Unternehmen auch langfristig erfolgreich sein.